hier lesen, was andere gern verschweigen würden:
:
MTK gegen Rechts

Rede auf der Kundgebung am 14. Oktober 2018 in Hofheim
Martin F. Herndlhofer

 

L iebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,
Heute, im Jahre 2018, stehen wir vor einem neuen, im Grunde aber recht alten, nun
europaweit wuchernden – ich nenn es mal: „Phantasma“, wenn sich in unterschiedlichen
Ländern gar nicht so unterschiedliche politische Bewegungen bilden, an die Macht streben
und sich in Deutschland gar als „Alternative“ empfehlen. Und wir das Ganze verstehen
lernen müssen – nicht wieder nur vordergründig und oberflächlich, sondern als Auswirkung
einer größeren, systemischen und globalen Problemlage.
Wo liegen die Wurzeln – hier im Land?
Wir erleben heute einen furchtbaren Wachstumsprozess menschenverachtender, sich
brutalisierender Bewegungen. Und Kreise in den Parteien und im Staatsapparat überprüfen
und ernähren diese gleichzeitig.
Tut mir Leid, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer hier in Hofheim. Auch wenn wir das lieber
anders hätten - das alles kommt nicht vom „Rand“ der Gesellschaft, die „Brutstätte“ liegt
vielmehr direkt in der berühmten „Mitte“, in dem Schoß, in dem es gereift wurde. Das, was
sich hier als Alternative für Deutschland behauptet, das sind nicht die da draußen, die sind
aus unserer Mitte, das sind eigentlich Leute wie wir.
Das macht unser Problem hier mit der AfD nicht unbedingt einfacher. Vor allem: Wir können
das, was sich in dieser Partei auftut, nicht einfach abschütteln, als hätten wir bei seiner
Entstehung nichts zu tun gehabt.
Die Neonazis und Rassisten, wir sollten sie sehr ernst nehmen. Dann sollten wir sie auch
wieder nicht zu ernst nehmen, dafür aber andere umso mehr.
Wen meine ich da? Oder, mit anderen Worten: Was haben diese Wut- und Hassbürger mit
der Leitkultur zu tun, der manche Christdemokraten hinterherträumen? Also mit der
sogenannten „Mitte“ der Gesellschaft?
Zunächst einmal: Wir müssen uns erinnern. Wirklich erinnern. Wer sich nicht erinnert, ist
schnell zu täuschen und deshalb leicht zu beherrschen.
Das Gegenteil von erinnern ist dann verschweigen, verdrängen, oder einfach kritiklos
glauben – am besten irgendwelche Fakes, je einfacher, desto lieber.
Erinnern bedeutet auch heute: Nie wieder wegschauen. Das ist nichts, das nur einmal
passieren kann, das ist eine Daueraufgabe. Dies ist der Kern der Erkenntnisse, an die das
Ehepaar Assmann bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels
heute Mittag in der Paulskirche - ja: erinnert hat.
Denn da begegnet uns der Satz von Bert Brecht „Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem dies
kroch“. Der hat das schon sehr früh erkannt.
Ich spreche zunächst von dem alten Erbe, durch das es beim Frankfurter Ausschwitzprozess
1960 und folgende sowohl von staatlicher Seite als auch aus der Bevölkerung massiven,
zum Teil hassvollen Widerstand gab. Wir dürfen diese Reaktion von damals nicht vergessen.
Fritz Bauer, der Generalstaatsanwalt, der den Prozess maßgeblich politisch durchgesetzt
hat, sagte: Wenn ich aus dem Haus trete, habe ich das Gefühl, ich bin in Feindesland.
Dieser Hass war scheint‘s weg, taucht aber plötzlich völlig ungehindert und schamlos wieder
auf. Wo war er bloß die ganze Zeit?Vor einigen Jahren hat eine Untersuchung eröffnet dass ca. 15% der Deutschen für rechte
bzw. rechtsradikale und rassistische Sprüche stehen. Damals war noch kaum ein Flüchtling
im Land aufzufinden.
Diejenigen, die sich nie, überhaupt nie mit dem faschistischen Erbe auseinandergesetzt
hatten, sagten von Anfang an und alle Jahre wieder bis heute: Einmal muss doch Schluss
sein. Dabei hatten sie nie einen Anfang gemacht mit dem erinnern, dem begreifen wollen
usw.
Doch bevor es zur Hetze von heute gekommen ist, wurde zunächst einmal gezündelt. Von
Brandstiftern, die Biedermänner waren und sind.
Sie erinnern sich: Herr Koch in Hessen – eine Abstimmung vordergründig gegen doppelte
Staatsbürgerschaft. Koch sagte es nicht offen, aber die Leute hatten die Absicht verstanden
und kamen uns sagten: Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?
Oder ein Herr Tillich in Sachsen der mit großer Geduld die Neonaziszene vorbei-toleriert hat.
Und sein Vorgänger Biedenkopf, der konsequent und über lange Zeit so etwas wie
Rassismus im Land schlichtweg wegbehauptete.
Oder die diversen Sarrazins.
Oder die Herren Söder und Seehofer – sehr aktuell. Die das christsoziale Vorfeld der AfD
pflegen.
Es ist schon grotesk: Da füttert diese sogenannte demokratische Mitte ... übrigens: Was ist
das eigentlich, diese Mitte? Keiner weiß, warum die Mitte die Mitte ist, und von was
eigentlich. Ist das etwas Durchschnittliches, so etwas wie „demokratisches Mittelmaß“?
Also: diese selbst ernannte demokratische Mitte füttert mit Worten und mit Taten das Milieu,
aus dem sich rechtskonservative und nationalistische bis hin zu offen rassistischen Gruppen
bilden. Und dann sagt die berühmte Mitte in einem einzigen Satz: Das ist ja schlimm, was
sich da ... links- und rechtsaussen an Extremismus tut. Und sie klagt und ist so was von
besorgt, diese politische Mitte.
Das ist so, als ob auf dem Fußballfeld die Mitte ihr Spiel spielt mit Steilvorlagen nach rechts
außen. Und die dort nehmen das immer wieder freudig an, sagen leise danke, denn jetzt
dürfen sie noch eins drauf setzen, und der Hass brüllt sich und es fließt Blut und es brennt.
Und wieder ist die Mitte erneut ganz empört, und klagt und verspricht: Wir müssen etwas
gegen diese Extreme unternehmen – die links und die rechts. Unbedingt weiter gegen
links....und gegen rechts.
Das ist Demagogie vom feinsten, fast als wäre das Teil des Stammhirns, und reicht zurück
bis in die Adenauerzeit.
Nein, ihr Kleinbürger der Mitte, ihr „Mittelfeld-Spieler“, ihr spielt mit denen rechts außen auf
dem gleichen Spielfeld und ihr spielt das gleiche Spiel. Und ihr seid in diesem Spiel nicht
selten auch international vernetzt. Ihr seid gemeinsam mit denen sozusagen eine
Mannschaft, nur mit verteilten Rollen. Wie auf dem Fußballfeld spielt ihr denen die Bälle zu.
Und sollten sich besonnene Schiedsrichter dagegen melden, haben sie nichts zu pfeifen.
Mich erinnert das an das Motto in Willy Brandts Ostpolitik: „Wandel durch Annäherung“.
Damals dachte man an den Wandel in den sozialistischen Staaten. Heute wird der Spruch
ganz anders wahr: Wandel der CDU und CSU durch Annäherung - an die AfD. Und so sieht
das dann auch aus am Ende des Tages nach der Wahl in Bayern.
Und dann bedauern andere wiederum und sagen: Politiker oder diverse Sicherheits- und
Schutzapparate, die sind doch am rechten Auge blind! Wird geklagt.
Der Spruch führt schon wieder in die Irre. Denn was passiert wirklich? Es passiert, dass nicht
wenige in den politischen und Sicherheitsapparaten gerade hier auf dem rechten Auge
ziemlich gut sehen. Sie sehen sich nämlich einem anderen rechten Auge gegenüber, das
ihnen oft gar nicht so fremd ist und deshalb gar nicht besonders gefährlich erscheint. Und sieentwickeln Schonungsgefühle, die Seehofers und Maaßens, und schaffen es sogar, ein
mörderisches Trio zehn Jahre lang unbehelligt töten zu lassen - eine mordende NSU Bande
ungeschoren mit Wissen und zugleich finanzieller Ernährung durch den Verfassungsschutz.
Das geht doch nur mit einem offenen rechten Auge.
Lange brüllten die Glatzen früher: Ausländer raus. Jetzt ist das Politik. Konsens der
Demokraten halt.
„Geht mal euren Phrasen nach”, sagte schon vor genau 200 Jahren der Dichter Georg
Büchner.
Ich frage Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer: Wieso – wenn heute Flüchtende überflüssig
gemacht werden und ihnen das Lebensrecht hier im Lande verwehrt wird und die AfD steht
dafür und nicht nur sie – wieso werden w i r hier nicht morgen genauso überflüssig sein,
entsorgt werden, nicht mehr dazu gehören, Abfall und Rausfall?
Sollen uns dann etwa die richtigen Papiere schützen? Das ist ja lächerlich. Bereits heute
schützt einen Deutschen mit schwarzer Hautfarbe sein deutscher Pass nicht mehr.
Denn da wird dann nur mehr getrennt in solche, die dazugehören, weil sie verwertbar sind,
und nach denjenigen, die sozial nicht genehm oder als Arbeitskraft zu teuer oder nicht bereit
sind, die politischen Halbwahrheiten oder Fake News nachzubeten, und sich statt dessen gar
eine eigene Meinung bilden, oder gar die nächste gigantische Pleite der Finanzmärkte als
Steuerzahler nicht schon wieder tragen wollen.
Was dann? Wenn wir uns nicht dagegen wehren, diesmal richtig – was dann?
Es geht um politische Gesundheitsreform. „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie ein
Geschichtsbuch oder fragen Sie Ihre Großeltern“.
Und dann heute – die da vorbeitrampeln, mit Lügengeschrei, ausgerechnet d i e grölen von
„Widerstand“, am Verstand vorbei, ein Marschschritt, der dann die Form des Tretens nach
unten und schließlich auch nach allen Seiten anzunehmen bereit ist. Aber sicher nicht nach
oben in die Konzernetagen.
Warum sind wir also heute hier? Worum geht es?
Leben und andere leben lassen! Wir fordern den Schutz des materiell und seelisch
beschädigten Lebens, egal wo es her kommt, dieses Leben, Schutz vor der Ausgrenzung
ungezählter und unzähliger Menschen in Süd und Nord, vor einer Wirtschafts- und
Lebensweise, die das Überleben der Menschheit bedroht.
„Diese Wirtschaft tötet“ sagt Papst Franziskus.
Die Würde des Menschen ist unantastbar? Vom Pass, den der Mensch bei sich hat, steht
dabei nichts in der Verfassung. Auch nicht von der Hautfarbe, ob mit oder ohne Bart oder
Kopftuch.
Die Würde des Menschen als Flüchtling ist heute jedoch für viele nicht mehr bezahlbar.
Rechnet sich nicht.
Unantastbar ist jedoch die würdefreie Steuerflucht und die Bereicherung einiger Weniger in
Milliardenhöhe auf Kosten der Bevölkerung. Siehe den Reichtumsbericht in Deutschland.
Aber vermutlich sind in der simplen Welt der AfD für diese Verbrechen an uns schon wieder
irgendwelche Flüchtlinge schuld – Steuer-Flucht und so. Ganz früher wären es sicher die
Juden gewesen. So einfach ist das, wenn man den Verstand nicht strapazieren will und von
Empathie nichts hält. Und einem Solidarität als linksversifft erscheint.
„Wer Frieden will, der sorge für Gerechtigkeit“
(Inschrift auf dem Grundstein des Gebäudes der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf,
die 1919 gegründet wurde).
Darum geht es - auch heute.


Veröffentlicht von carlo (carlo) am 22 Oct 2018
Zuletzt geändert am: 22 Oct 2018 um 1:14 PM


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