hier lesen, was andere gern verschweigen würden:
kreistag:
Stellungnahme zum Haushalt 2011

Stellungnahme der Fraktion "Die Linke" zum Entwurf des Haushaltsplans 2010

Sehr geehrter Herr Kreistagsvorsitzender,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

der vorliegende Entwurf in der Fortschreibung vom 24. 11. 2010 schließt mit einem Defizit
von knapp 30 Mio. Euro im Ergebnishaushalt ab. Vermindert man diesen Betrag um die
Abschreibungen in Höhe von ca. 9.8 Mio Euro (die nicht kassenwirksam werden – aber zu
einem entsprechenden Verlust in der Jahresbilanz führen) so verbleibt eine Lücke von fast
22 Mio Euro, die zur Finanzierung der erforderlichen laufenden Aufwendungen fehlt.
Defizitär stellen sich nach der Ergebnis- und Finanzplanung auch die Haushalte für die
beiden Folgejahre 2012 mit einem Minus von 21,6 Mio Euro und 2013 mit einem Minus
von 11,6 Mio. Euro dar. Ein Anstieg wird erst wieder 2014 erwartet.

Auch den Main-Taunus-Kreis holt eine Entwicklung wieder ein, die sich in den letzten zehn
Jahren – mit geringen Schwankungen – landauf und landab in der gesamten Bundesrepublik
spürbar verschärft hat: Die Finanznot der kommunalen Gebietskörperschaften.
Auch und gerade das Land Hessen und hier wiederum der prosperierende Ballungsraum
Rhein-Main, sind hiervon nicht unerheblich betroffen.

Die Finanzmisere der kommunalen Gebietskörperschaften

Über 30 Milliarden Euro Mindereinnahmen haben die Kommunen vom Jahre 2000 bis zum
Jahre 2009 verkraften müssen. Allein durch die Steuersenkungsorgien, die von der rotgrünen
Regierung ab dem Jahre 2000 eingeleitet wurden. Hierbei sind konjunkturbedingte
Steuerausfälle noch nicht mit eingerechnet.

Dazu kommen in den folgenden Jahren die Belastungen aus den Steuersenkungen bei
den Konjunkturpaketen I und II. Nach den Angaben des Bundesfinanzministeriums werden
die Kommunen bis zum Jahre 2013 noch einmal über fünf Milliarden Euro Mindereinnahmen
haben, die aus diesen Konjunkturprogrammen resultieren.
Hinzu kommen die Folgen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes mit einem jährlichen
Verlust von ca. 1,6 Milliarden Euro für die Kommunen.

Internationale Finanzkrise

Verschärfend ausgewirkt hat sich in diesem Zusammenhang natürlich die Wirtschafts- und
Finanzkrise.

Es war die Regierung Schröder /Fischer, die seinerzeit den Heuschrecken das Tor weit
aufgemacht hat. Ich denke hier nur an das vierte Finanzmarktförderungsgesetz und die
Befreiung von Gewinnen aus dem Verkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften 2002, die
steuerliche Förderung der Verbriefung von Krediten zu Wertpapieren 2003 und die
Zulassung von Hedgefonds (2004).

Zum spekulativen Aufblähen der Finanzmärkte hat nicht nur deren Liberalisierung“ (sprich:
Deregulierung) beigetragen, sondern auch das Freisetzen von Finanzmitteln, die in diese
Blase fließen konnten:

Hierzu gehörte die Teilprivatisierung der sozialen Sicherungssysteme. Für Banken,
Versicherungen und Investmentgesellschaften brachte die private Altersvorsorge
gigantische Mittelzuflüsse. Nicht minder wirksam war die Erhöhung privater Gewinne in
Form einer Umverteilung von Unten nach Oben durch die „Steuerreformen“ des
vergangenen Jahrzehnts. Hinzu kam das stetige Absinken der Lohnquote in Deutschland:
Stagnierende oder sogar sinkende Realeinkommen der abhängig Beschäftigten – auch
und gerade in Folge der Hartz IV-Gesetze.
Dem gegenüber stehen die exorbitant gesteigerten Einkommen aus Gewinnen und
Vermögen, die nun gerade nicht zu Investitionen und Arbeitsplätzen im Inland geführt
haben, sondern auf dem internationalen Finanzmarkt in z. T. abenteuerliche Fonds und
„Finanzprodukte“ abgeflossen sind, von denen man sich vor dem Hintergrund der
damaligen Rezession mehr versprach mehr als von Investitionen. Das war im übrigen
1929 nicht anders, Finanzkrisen gehen immer einher mit Wirtschaftskrisen. In der
Überproduktionskrise sucht sich überschüssiges „vagabundierendes“ Kapital spekulative
Anlageformen außerhalb der „Realwirtschaft“.

All das waren die objektiven Voraussetzungen für die Krise. Und diese Voraussetzungen
fielen nicht vom Himmmel – sie wurden seit Ende der neunziger Jahre in forcierter Weise
politisch gefördert. Von SPD u. Grünen, später von der großen Koalition, und die
zugrundeliegenden Beschlüsse wurden allesamt von den Fraktionen von
CDU/CSU/SPD/FDP und den Grünen getragen. Aus dieser Verantwortung kann sie
niemand entlassen.

Überlegen wir einmal:
Wäre nur ein Teil dieser Spekulationsverluste in Milliardenhöhe steuerlich abgeschöpft
worden und zusammen mit den zwischenzeitlich bereits zur Auszahlung gekommenen
Mitteln des Banken-Rettungspakets in Öffentliche Investitionen, auch auf kommunaler
Ebene geflossen, so hätte sich dies positiv auf die Binnenkonjunktur ausgewirkt. Die
Auftragslage - insbesondere auch kleiner und mittlerer Unternehmen – und die Situation
auf dem ersten Arbeitsmarkt hätte sich spürbar verbessert, mit der Folgen einer Entlastung
der sozialen Sicherungssysteme und einer erheblichen Verbesserung der öffentlichen und
damit auch der kommunalen Finanzsituation.

Gerade vor diesem Hintergrund komme ich nicht umhin, ein klein wenig aus der
Haushaltsrede des Landrats zu zitieren:

„Seit Jahren steigen die Leistungen ohne Gegenleistung an, das wird irgendwann das
soziale System zum Bersten bringen. Wer Kinder hat, stellt sich zu Recht die Frage um
deren Zukunft.“

Die ohne jegliche Verpflichtung zur Gegenleistung zur Verfügung gestellten Milliarden zur
Bankenrettung, Herr Landrat haben Sie in diesem Zusammenhang ja sicher nicht
gemeint, denn – ich zitiere weiter:

„Eines muss doch jedem klar sein: Nur durch Arbeit und Leistung kommen Einkünfte und
Steuern herein, womit dann auch Dienstleistungen für Schwächere erbracht werden
können. Es kann und darf nicht sein, dass die einen schuften und die anderen sich
darüber den Kopf zerbrechen, wie sie dieses Netz der sozialen Sicherung für ihre Zwecke
am besten nutzen.“

Mehrere Millionen Menschen die auf Transferleistungen angewiesen sind geraden auf
diese Weise unter den Generalverdacht, des Sozialbetrugs. Es wird ein Bild verstärkt, das
in den Nachmittags-Soaps mancher Privatsender gezeichnet wird: vom biertrinkenden,
Hartz IV-Empfänger, der sich vorm Fernseher mit Chips vollstopft. Sprechen Sie doch
einmal, mit dem Banker, der „Umstrukturierungsmaßnahmen“ in seinem Institut zum Opfer
gefallen ist und mit 57 Jahren trotz intensiver Bemühungen beruflich keinen Fuß mehr auf
den Boden bekommt. Mit dem ausgebildeten Ingenieur, der sein Haus nicht mehr halten
kann, da dessen Wert erheblich über dem Schonvermögen liegt. Aber auch mit vielen
Menschen einfacherer beruflicher Qualifikation, die unter ihrer Situation (und z. T. und
auch der ihrer Kinder) leiden und sie gerne verändern möchten.

„Womöglich kommen sie dann noch ohne eigenen Beitrag zu den gleichen Nettoeinkommen
durch Transferleistungen wie diejenigen, die sich redlich Tag für Tag an ihrem
Arbeitsplatz abmühen und ihre Steuern, Versicherungen, Miete und anderes erarbeiten.“
Der eigentliche Skandal ist nicht die Höhe der Grundsicherung, sondern die Tatsache,
dass es Menschen gibt, die zu einem Lohn arbeiten müssen, der unterhalb dieser
Grundsicherung liegt. Wenn z.. B. eine bekannte dänische Fleischkonservenfabrik ihren
eigenen Produktionsstandort um 6000 Mitarbeiter reduziert und ihrer Schweinehälften per
LKW im Niedriglohnland Deutschland hier konkret in Niedersachsen verarbeiten lässt -
weil erheblich das profitabler ist, so spricht das Bände. Der Transport – eigentlich
ökonomisch und ökologisch gesehen unsinniger Aufwand - erfolgt übrigens ebenfalls
durch ein deutsches Unternehmen, da auch in der hiesigen Transportbranche die Löhne
weit unter den dänischen liegen.

Mit niedrigen Löhnen wird man vielleicht Export-Weltmeister – die Binnenkonjunktur leidet
aber erheblich darunter. Das ein gesetzlicher Mindestlohn längst überfällig ist, liegt auf der
Hand.

Lassen Sie mich damit wieder zum Problem der kommunalen Finanzen kommen. Die
ursprünglich für dieses Jahr geplante Gemeindefinanzreform wurde auf 2011 verschoben,
wie wir seit Ende November wissen. Immerhin – die Gewerbesteuer soll erhalten werden.

Schuldenbremse

Aber schon ist neue Gefahr im Verzuge: Die Hessische Landesregierung will per
Volksentscheid eine „Schuldenbremse“ in die Landesverfassung aufnehmen lassen, denn
über die Wirkung der im Grundgesetz bereits vorhandenen Schuldenbremse für die
Länder muss aufgrund einer Klage des Landes Schleswig Holstein noch das
Bundesverfassungsgericht entscheiden. Die Hessen sollen also per Volksentscheid
indirekt weitere „Sparmaßnahmen“ legitimieren, die hier natürlich insbesondere den
investiven Bereich berühren. Auch dies wird sich natürlich ggf. über ausbleibende
Zuschüsse bei notwendigen Investitionsmaßnahmen der Landkreise, Städte und
Gemeinden bemerkbar machen.

Zum ökonomischen Sinn der „Schuldenbremse“ ein Kommentar – nicht von einem linken
Wirtschaftswissenschaftler:

„Die Politik ist von der Denkstruktur einer schwäbischen Hausfrau getrieben und leider
nicht von der Denkstruktur eines schwäbischen Unternehmers“, sagte der
Wirtschaftsweise Peter Bofinger am Freitag im Gespräch mit Handelsblatt.com. Denn
öffentliche Schulden seien, wenn sie investiv eingesetzt werden, grundsätzlich nicht
schlecht. „Mit einer Schuldenbremse werden die Investitionsmöglichkeiten des Staates
aber massiv eingeschränkt“, kritisierte Bofinger und fügte hinzu. „Statt über ein neues
Wachstumsmodell für Deutschland nachzudenken, nehmen wir uns Handlungsspielräume
und mauern uns ein.“

Einnahmeproblem - Finanzreform

Deutschlands Städte und Gemeinden – und dies gilt ebenso für die Landkreise - können
auf Dauer nur dann ihren Aufgaben nachkommen, wenn ihre Einnahmen vermehrt
werden. Denn bei der Finanzkrise der kommunalen Gebietskörperschaften handelt es sich
nicht um ein Ausgabe- sondern um ein Einnahmeproblem, das nur im Rahmen einer
Finanzreform zu lösen ist, die diesen Namen auch verdient.

So könnte beispielsweise die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer
weiterentwickelt werden. Auch bisher nicht erfasste freie Berufe und Selbständige würden
hierzu beitragen. Durch die Beibehaltung der Anrechenbarkeit auf die Einkommensteuer
und Freibeträge würde sichergestellt, dass die große Mehrzahl der Selbständigen nicht
zusätzlich belastet würde. Gleichzeitig würde Steuer auf Einkommensanteile erhoben, die
auf dem Gebiet der Gemeinde erarbeitet werden, aber als Zinsen, Mieten, Pachten oder
Leasingraten anderswo ansässigen Kapitalgebern zufließen. Auf diesem Wege bleiben
auch die Einnahmen der Gemeinden in schlechten Zeiten stabiler.

Erhöhung Schulumlage

Ein wesentlicher Grund, warum wir der Haushaltssatzung unsere Zustimmung verweigern
ist die geplante Erhöhung der Schulumlage. Sie trifft die kreisangehörigen Städte und
Gemeinden in unterschiedlicher Weise. Die meisten, mit ihren defizitären Haushalten
relativ hart. Und es kann meines Erachtens z. B. keine Lösung sein, die Finanzierung von
Schulen auf Kosten der Finanzierung von Kindertagesstätten zu entlasten. Auf die
zeitversetzte Bemessung der Umlagenhöhe, die diese Problematik noch verschärft
brauche, ich an dieser Stelle wohl nicht weiter einzugehen.

Beim gegenwärtigen Stand der Rücklagen des Kreises werden diese durch den
Fehlbetrag bei weitem nicht wirklich aufgebraucht, denn kassenwirksam werden, worauf
ich bereits eingangs hingewiesen habe, nur ca. 22 Mio. Euro. Von einer notwendigen
Aufnahme von Kassenkrediten, wären wir bei einem Verzicht auf die Umlage noch ein
ganzes Stück weit entfernt. Lediglich der Bilanzverlust würde sich etwas erhöhen.

Lassen Sie mich am Schluss noch zu dem Ihnen bereits informativ zugegangenen Antrag
kommen, der an dem Zahlenwerk nichts verändert, da es sich lediglich um die Änderung
einer Zielbeschreibung handelt, der aber gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtig
anziehenden Konjunktur eine gewisse Signalwirkung zukommt::

Wir beantragen, die Zielbeschreibung bei Produkt 5004 - Grundsicherung für Arbeitssuchende
(SGB II) Beschäftigungsprojekte - textlich zu ändern. Anstelle des bisherigen Wortlauts

„2.: Integration in Arbeit von 750 Kunden im Jahr“
soll es zukünftig heißen:

2.: Vermittlung in 1000 Arbeitsplätze, hiervon 500 (50 %) in Arbeitsverhältnisse, die eine
Lebensführung ohne Transferleistungen ermöglichen.

Die Erfahrungen der vorangegangenen Berichtsjahre (2009: 1267 Vermittlungen, 2008: 1304
Vermittlungen) zeigen, das eine Anpassung der angestrebten Gesamt-Vermittlungszahl realistisch
und angezeigt ist Wichtigstes Ziel ist und bleibt die Vermittlung in den 1. Arbeitsmarkt als
wichtigster Schritt aus der Abhängigkeit von staatlichen Leistungen. Vor dem Hintergrund der
gegenwärtig wirtschaftlichen Entwicklung steht es dem Main-Taunus Kreis gut an, auf diesem
Wege ein deutliches Signal zu setzen.
 

Ich bitte um Ihre Zustimmung und danke für ihre Aufmerksamkeit
Hofheim am 13. 12. 2010

Heinz M. Merkel
(Wählergemeinschaft Die Linke)


Veröffentlicht von mk (admin) am 19 Jan 2011
Zuletzt geändert am: 19 Jan 2011 um 8:30 AM


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