UNTER FALSCHER FLAGGE?
Entwicklungspolitik der New Alliance for Food Security and Nutrition
UNTER FALSCHER FLAGGE?
Entwicklungspolitik der New Alliance for Food Security and Nutrition
Warum das Bündnis zwischen G8-Regierungen und Konzernen den Kleinbauern
Afrikas kein Glück bringen kann.
IWE Dossier
von Anja Humburg und Wilfried Bommert
im Auftrag des
Institut für Welternährung – World Food Institute e.V. Berlin
Redaktion: Wilfried Bommert
RED: 28.05.2015
INHALT
- BÜNDNIS DER UNGLEICHEN
- AUSGANGSLAGE: PEAK PROFIT - NEUE MÄRKTE
- STRATEGIE: VON DER BÄUERLICHEN ZUR KOMMERZIELLEN LANDWIRTSCHAFT
- MOTOR: WELTERNÄHRUNGSKRISE DAS VERSAGEN DER GROSSEN GIPFELTREFFEN
- PUBLIC-PRIVATE PARTNERSHIPS
- KONSTITUIERUNG: NEW ALLIANCE FOR FOOD SECURITY AND NUTRITION
- RHETORIK
- UMSETZUNG
- ROLLE DER G8-REGIERUNGEN
- ÖFFENTLICHER WIDERSTAND
- FUNDAMENTALE FRAGEN
- TAUGLICHKEIT DES KONZEPTS IM KAMPF GEGEN HUNGER UND ARMUT
- NEW ALLIANCE AUF DEN PRÜFSTAND
1. BÜNDNIS DER UNGLEICHEN
Gegründet wird die „New Alliance for Food Security and Nutrition“ 2012 in der Folge der Welternährungskrise, die 2007/2008 mit explodierenden Lebensmittelpreisen die Zahl der Hungernden weltweit über die Ein-Milliarden-Grenze hochschnellen ließ. Die Dringlichkeit der Lage forderte eine umfassendere und wirkungsvollere Strategie gegen den Hunger als bisher und vor allem wesentlich höhere Investitionen in die Landwirtschaft, denn die waren in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt worden. Im Mai 2012 schließen sich die führenden Industriestaaten der Welt mit den
führenden multinationalen Konzernen und einer ausgewählten Gruppe von 10 afrikanischen Staaten zu einer bis dato nicht gekannten Partnerschaft zusammen, zur „New Alliance for Food Security and Nutrition“. Zu den Teilhabern der Alliance gehören die großen Player der Weltagrar- und Chemieindustrie sowie der Lebensmittelwirtschaft unter ihnen Cargill, Dupont, Danone, Monsanto, Nestle, Swiss Re, Syngenta, Unilever und Yara.
Dieses neuartige Bündnis für Entwicklung lässt aufmerken und wirft Fragen auf.
Auf der eine Seite stehen die Regierungen der G8 mit ihren Entwicklungsprogrammen, die seit langem versuchen, die Armut in Afrika zu bekämpfen, auf der anderen Seite die Weltkonzerne, die seit langem ihre Geschäfte vor allem mit der industriellen Landwirtschaft machen, und zwischen beiden die 10 afrikanischen Staaten, die sich bereit erklären, dem Entwicklungskonzept der New
Alliance zu folgen. Was bringt die Ungleichen zusammen? Welche Gründe bewegen die Weltkonzerne zu ihrem plötzlichen Engagement für Afrika? Was bringt die Regierungen dazu, ein derartiges Bündnis einzugehen? Und welche Aussicht auf Erfolg hat diese neuartige politisch-ökonomische Koalition?
Die Hintergründe dieser „New Alliance for Food Security and Nutrition“ blieben bisher weitgehend im Dunkeln. Undurchsichtig sind die Folgen ihrer Entwicklungsstrategie für die große Mehrheit der afrikanischen Bäuerinnen und Bauern, für die ländlichen Arbeitsplätze und Einkommen und für die Sicherheit der Ernährung. Ungeklärt ist die demokratische Legitimation und Kontrolle dieses politisch-ökonomischen Konstrukts ebenso wie die Übereinstimmung mit den aktuellen Leitlinien der bundesdeutschen Entwicklungspolitik. Als zweifelhaft erweist sich der Erfolg dieser Strategie im
Kampf gegen Hunger und Armut und auch ihr Beitrag zu Wohlstand und sozialer Sicherheit für die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung in den afrikanischen Ländern steht zur Debatte. Zu befürchten ist das Gegenteil, verstärkte Verelendung von Kleinbauern, Landflucht und ein Anstieg der Flüchtlingsströme aus den betroffenen Ländern.
Die vorliegende Untersuchung will Licht in dieses Dunkel bringen und damit einen Beitrag zur Transparenz leisten. Sie will den öffentlichen Diskurs fördern und eine Revision der Bündnispolitik zwischen der Bundesregierung und der „New Alliance for Food Security and Nutrition“ ermöglichen.
Zugrunde liegen dabei die Original-Dokumente der New Alliance wie die Deklaration von Camp David, Absichtserklärungen („letters of intent“) und Kooperationsvereinbarungen („cooperation frameworks“), Fortschrittsberichte, die Internetauftritte der New Alliance und ihrer Mitglieder sowie Sekundärstudien und investigativ-journalistische Arbeiten.
2. AUSGANGSLAGE: PEAK PROFIT - NEUE MÄRKTE
Wir stellen nicht in Zweifel, dass auch Weltkonzerne ein Interesse haben, den Hunger in Afrika wirksam zu bekämpfen. Aber als Wirtschaftsunternehmen ist das nur eines ihrer Ziele. Ein Blick in die Umsatz- und Gewinnprognosen offenbart handfeste ökonomische Beweggründe für ihr Engagement in der New Alliance for Food Security and Nutrition.
Zur Jahrtausendwende ließen die Zahlen keinen Zweifel mehr: Die international tätige Agrar- und Chemieindustrie musste feststellen, dass ihre Märkte in den westlichen Industrieländern nach mehr als fünf Jahrzehnten ungebremsten Wachstums gesättigt waren. Die jährlichen Wachstumsraten drohten zu schrumpfen. Die Stagnation der Profite, die zunächst noch durch technische Innovationen kompensiert werden konnte, war „spätestens zur Jahrtausendwende zur unumstößlichen Gewissheit“1 geworden. Um einen „peak profit“ abzuwenden, begann daher die Suche nach neuen Märkten. Afrika, das lange als „The hopeless continent“ galt, geriet in den Fokus der Analysten und der Global Player. Die entdeckten ein Marktpotential in den Afrikanischen Staaten, das bislang kaum Beachtung erfahren hatte. Es ist die Landwirtschaft des Kontinents und damit das „Rückgrat der afrikanischen Wirtschaft“.2 Die Existenz von 530 Millionen Afrikanern, der Hälfte der afrikanischen Bevölkerung, basiert nach Berechnungen von Qxfam bis heute auf landwirtschaftlichen Einkünften. Landwirtschaft trägt zur Hälfte zum Bruttoinlandsprodukts der Sub-Sahara bei. Doch 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe erreichen nicht einmal die Größe von zwei Hektar (Der Durchschnitt in Deutschland liegt über 60 Hektar). Damit spielt die kleinbäuerliche Landwirtschaft die entscheidende Rolle in Afrika.3 Sie rückt in den Focus der New Alliance. Es geht um einen enormen Markt, der in Wert gesetzt werden soll. Und bis 2030 auf einen Umsatz von einer Billion Dollar zu wachsen verspricht:
UNTER FALSCHER FLAGGE?
Entwicklungspolitik der New Alliance for Food Security and Nutrition
Warum das Bündnis zwischen G8-Regierungen und Konzernen den Kleinbauern
Afrikas kein Glück bringen kann.
IWE Dossier
von Anja Humburg und Wilfried Bommert
im Auftrag des
Institut für Welternährung – World Food Institute e.V. Berlin
Redaktion: Wilfried Bommert
RED: 28.05.2015
INHALT
- BÜNDNIS DER UNGLEICHEN
- AUSGANGSLAGE: PEAK PROFIT - NEUE MÄRKTE
- STRATEGIE: VON DER BÄUERLICHEN ZUR KOMMERZIELLEN LANDWIRTSCHAFT
- MOTOR: WELTERNÄHRUNGSKRISE DAS VERSAGEN DER GROSSEN GIPFELTREFFEN
- PUBLIC-PRIVATE PARTNERSHIPS
- KONSTITUIERUNG: NEW ALLIANCE FOR FOOD SECURITY AND NUTRITION
- RHETORIK
- UMSETZUNG
- ROLLE DER G8-REGIERUNGEN
- ÖFFENTLICHER WIDERSTAND
- FUNDAMENTALE FRAGEN
- TAUGLICHKEIT DES KONZEPTS IM KAMPF GEGEN HUNGER UND ARMUT
- NEW ALLIANCE AUF DEN PRÜFSTAND
1. BÜNDNIS DER UNGLEICHEN
Gegründet wird die „New Alliance for Food Security and Nutrition“ 2012 in der Folge der Welternährungskrise, die 2007/2008 mit explodierenden Lebensmittelpreisen die Zahl der Hungernden weltweit über die Ein-Milliarden-Grenze hochschnellen ließ. Die Dringlichkeit der Lage forderte eine umfassendere und wirkungsvollere Strategie gegen den Hunger als bisher und vor allem wesentlich höhere Investitionen in die Landwirtschaft, denn die waren in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt worden. Im Mai 2012 schließen sich die führenden Industriestaaten der Welt mit den
führenden multinationalen Konzernen und einer ausgewählten Gruppe von 10 afrikanischen Staaten zu einer bis dato nicht gekannten Partnerschaft zusammen, zur „New Alliance for Food Security and Nutrition“. Zu den Teilhabern der Alliance gehören die großen Player der Weltagrar- und Chemieindustrie sowie der Lebensmittelwirtschaft unter ihnen Cargill, Dupont, Danone, Monsanto, Nestle, Swiss Re, Syngenta, Unilever und Yara.
Dieses neuartige Bündnis für Entwicklung lässt aufmerken und wirft Fragen auf.
Auf der eine Seite stehen die Regierungen der G8 mit ihren Entwicklungsprogrammen, die seit langem versuchen, die Armut in Afrika zu bekämpfen, auf der anderen Seite die Weltkonzerne, die seit langem ihre Geschäfte vor allem mit der industriellen Landwirtschaft machen, und zwischen beiden die 10 afrikanischen Staaten, die sich bereit erklären, dem Entwicklungskonzept der New
Alliance zu folgen. Was bringt die Ungleichen zusammen? Welche Gründe bewegen die Weltkonzerne zu ihrem plötzlichen Engagement für Afrika? Was bringt die Regierungen dazu, ein derartiges Bündnis einzugehen? Und welche Aussicht auf Erfolg hat diese neuartige politisch-ökonomische Koalition?
Die Hintergründe dieser „New Alliance for Food Security and Nutrition“ blieben bisher weitgehend im Dunkeln. Undurchsichtig sind die Folgen ihrer Entwicklungsstrategie für die große Mehrheit der afrikanischen Bäuerinnen und Bauern, für die ländlichen Arbeitsplätze und Einkommen und für die Sicherheit der Ernährung. Ungeklärt ist die demokratische Legitimation und Kontrolle dieses politisch-ökonomischen Konstrukts ebenso wie die Übereinstimmung mit den aktuellen Leitlinien der bundesdeutschen Entwicklungspolitik. Als zweifelhaft erweist sich der Erfolg dieser Strategie im
Kampf gegen Hunger und Armut und auch ihr Beitrag zu Wohlstand und sozialer Sicherheit für die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung in den afrikanischen Ländern steht zur Debatte. Zu befürchten ist das Gegenteil, verstärkte Verelendung von Kleinbauern, Landflucht und ein Anstieg der Flüchtlingsströme aus den betroffenen Ländern.
Die vorliegende Untersuchung will Licht in dieses Dunkel bringen und damit einen Beitrag zur Transparenz leisten. Sie will den öffentlichen Diskurs fördern und eine Revision der Bündnispolitik zwischen der Bundesregierung und der „New Alliance for Food Security and Nutrition“ ermöglichen.
Zugrunde liegen dabei die Original-Dokumente der New Alliance wie die Deklaration von Camp David, Absichtserklärungen („letters of intent“) und Kooperationsvereinbarungen („cooperation frameworks“), Fortschrittsberichte, die Internetauftritte der New Alliance und ihrer Mitglieder sowie Sekundärstudien und investigativ-journalistische Arbeiten.
2. AUSGANGSLAGE: PEAK PROFIT - NEUE MÄRKTE
Wir stellen nicht in Zweifel, dass auch Weltkonzerne ein Interesse haben, den Hunger in Afrika wirksam zu bekämpfen. Aber als Wirtschaftsunternehmen ist das nur eines ihrer Ziele. Ein Blick in die Umsatz- und Gewinnprognosen offenbart handfeste ökonomische Beweggründe für ihr Engagement in der New Alliance for Food Security and Nutrition.
Zur Jahrtausendwende ließen die Zahlen keinen Zweifel mehr: Die international tätige Agrar- und Chemieindustrie musste feststellen, dass ihre Märkte in den westlichen Industrieländern nach mehr als fünf Jahrzehnten ungebremsten Wachstums gesättigt waren. Die jährlichen Wachstumsraten drohten zu schrumpfen. Die Stagnation der Profite, die zunächst noch durch technische Innovationen kompensiert werden konnte, war „spätestens zur Jahrtausendwende zur unumstößlichen Gewissheit“1 geworden. Um einen „peak profit“ abzuwenden, begann daher die Suche nach neuen Märkten. Afrika, das lange als „The hopeless continent“ galt, geriet in den Fokus der Analysten und der Global Player. Die entdeckten ein Marktpotential in den Afrikanischen Staaten, das bislang kaum Beachtung erfahren hatte. Es ist die Landwirtschaft des Kontinents und damit das „Rückgrat der afrikanischen Wirtschaft“.2 Die Existenz von 530 Millionen Afrikanern, der Hälfte der afrikanischen Bevölkerung, basiert nach Berechnungen von Qxfam bis heute auf landwirtschaftlichen Einkünften. Landwirtschaft trägt zur Hälfte zum Bruttoinlandsprodukts der Sub-Sahara bei. Doch 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe erreichen nicht einmal die Größe von zwei Hektar (Der Durchschnitt in Deutschland liegt über 60 Hektar). Damit spielt die kleinbäuerliche Landwirtschaft die entscheidende Rolle in Afrika.3 Sie rückt in den Focus der New Alliance. Es geht um einen enormen Markt, der in Wert gesetzt werden soll. Und bis 2030 auf einen Umsatz von einer Billion Dollar zu wachsen verspricht:
„Growth in agriculture and agribusiness presents an enormous opportunity for investment, currently accounting for nearly half of African gross domestic product with the possibility of growing to a $1 trillion industry in Africa by 2030. The New Alliance is combining smart assistance with leveraged private sector investments in African agriculture to benefit both resource-poor smallholder farmers and increase private sector growth.“4
Afrika erhält den Status einer strategischen Wachstumsregion. Eine Erkenntnis, die auch in den Strategiepapieren der Konzerne wiederzufinden ist, wie bei Syngenta. Der Konzern zielt in seinem Afrikakonzept auf die Kleinbauern. Über sie soll Wachstum entstehen und dadurch weitere Investitionen aus dem privaten Sektor mobilisiert werden. Der Wachstumspfad führt über die Produktpalette des Unternehmens. Es geht um die Transformation der afrikanischen Landwirtschaft von der Subsistenz oder Eigenversorgung hin zu einer kommerziellen Landwirtschaft.
Exemplarisch heißt es:
„Africa has become one of our strategic growth regions and our aspiration is to contribute to the transformation of African agriculture. We will deploy our leading portfolio as part of a system-wide approach linking people, land and technology, with the aim of increasing productivity sustainably and thereby reducing poverty. This engagement has been catalyzed by the encouraging steps taken by a number of African governments to stimulate investment, and we intend to play a leading role in public-private collaborations which will be essential to making a planned transformation actually happen on the ground.”5
_____
1 Zeitler, Gerd (2014): Bretton Woods System,
gerdzeitler.wordpress.com/bretton-woods-system-deutsch
(letzter Zugriff am 02.06.2015)
2 Oxfam Deutschland (2014): Moral Hazard: Mega public-private partnerships in African agriculture, Briefing Paper, http://www.oxfam.de/sites/www.oxfam.de/files/bp188-public-private-partnerships-agriculture-africa-010914-en.pdf (letzter Zugriff am 02.06.2015)
3 Oxfam Deutschland (2014)
4 New Alliance for Food Security and Nutrition (2014): FAQ,
http://new-alliance.org/faq#Why Africa? (letzter Zugriff 02.06.2015)
5 Mack, Mike (2012): Syngenta to expand presence in Africa: contributing to the transformation of agriculture, Pressemitteilung vom 18.5.2012, Basel, http://www.syngenta.com/global/corporate/en/news-center/news- releases/Pages/120518.aspx (letzter Zugriff am 02.06.2015)
3. STRATEGIE: VON DER BÄUERLICHEN ZUR KOMMERZIELLEN LANDWIRTSCHAFT
Insgesamt soll durch die New Alliance bis 2022 für rund 50 Millionen Menschen, Bäuerinnen und Bauern, die sich bislang in Subsistenzwirtschaft selbst versorgen, der Weg in eine neue Wirtschaftsform frei gemacht werden. Die, so das Versprechen, Armut und Unterentwicklung überwinden wird. Der Weg dorthin führt über „verbessertes“ Saatgut, künstlichen Dünger und Chemikalien. Aber auch über Arbeitsverträge und die Vergabe von Landrechten soll es gelingen, den
Wohlstand zu steigern.
Das Entwicklungskonzept für die afrikanische Landwirtschaft basiert auf dem der Kommerzialisierung und Industrialisierung, das schon in Amerika und Europa umgesetzt worden war. Ihm zu Grund liegt die Idee einer Entwicklungsstufenleiter, an deren unterem Ende die Kleinbauern stehen, die kommerzialisierte Landwirtschaft ganz oben. Sie gilt als Endziel und höchste Stufe der Entwicklung (siehe Abb. 1).6 Und sie ist nur zu erreichen, wenn die erprobten Rezepte der Industrienationen
zum Einsatz kommen können: Hybrid- und / oder gentechnisch verändertes Saatgut, künstlicher Dünger und Pestizide. Dass dieses Modell nur funktioniert, wenn ein erheblicher Teil der Kleinbauern ihre Existenzen aufgeben, ist Teil der Strategie. Wie groß dieser Aderlass unter den Kleinbauern sein wird, zeigen die Erfahrungen aus Deutschland, wo Mechanisierung und Chemisierung der Landwirtschaft 80 Prozent der Kleinbauern zur Aufgabe ihrer Existenz zwangen.
Übertragen auf Afrika würde das bedeuten, dass 400 Millionen Kleinlandbauern und Bäuerinnen ihre Höfe aufgeben müssten.
Abbildung 1
Kritiker sprechen von einer neuen Form des kapitalistischen Kolonialismus: Afrikapitalismus.
„A landmark G8 initiative to boost agriculture and relieve poverty has been damned as a new form of colonialism after African governments agreed to change seed, land and tax laws to favour private investors over small farmers.“7
Doch nach dem ursprünglichen Konzept des Afrikakapitalismus sollte die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas von Akteuren des Kontinents selbst ausgehen.8 Im Konzept der New Alliance sind es jedoch weitgehend externe Akteure, die ihr neoliberales Verständnis des Weltmarktkapitalismus auf Afrika übertragen, und die Regierungen veranlassen, Saatgut-, Land- und Steuergesetze im Interesse privater
und hier vor allem ausländischer Investoren zu ändern.
Bis 2006 fehlte für diese neue Strategie einer kapitalistischen Agrarentwicklung in Afrika der entscheidende Schub, doch das änderte sich in den Jahren 2007/2008.
4. WELTERNÄHRUNGSKRISE DAS VERSAGEN DER GROSSEN GIPFELTREFFEN
2007 und 2008 erlebt die Welt, was bis dahin politisch als undenkbar galt: die Krise der Welternährung. Die Preise für Lebensmittel steigen innerhalb kurzer Zeit, für Reis um 300, für Weizen um 200 Prozent. Diese Preisexplosion treibt weltweit rund 150 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut und erhöht die Zahl der Hungernden auf über eine Milliarde. Damit verstärkt sich die politische Dringlichkeit für eine Politik, die die Zahl der Hungernden wirkungsvoll senken und weltweit mehr Ernährungssicherheit garantieren kann. Die Krise sucht vor allem die afrikanischen Staaten heim und verstärkt weltweit das allgemeine Bewusstsein für die Notwendigkeit, die Kleinbauern dort zu fördern, um das Angebot auf den afrikanischen Märkten zu erhöhen.
„The crisis generated a fairly universal recognition of the need to support smallholder food production for domestic markets (...).“9
Mit der Krise entsteht für die Regierungen des Nordens konkreter Handlungsbedarf. Beim Gipfeltreffen in L'Aquila im Jahr 2009 sollen konkrete politische Aktionen beschlossen werden. Doch die blieben aus.
Spätestens nach dem Gipfel von L'Aquila war klar, dass die G8 nicht in der Lage waren, der Krise Herr zu werden. Ihre Investitionen in die Landwirtschaft, die sie nach der Welternährungskrise verstärkten, erzielten nicht die versprochenen Erfolge. In der Deklaration von Camp David gestehen die G8-Staaten ihre Unzulänglichkeit ein. Sie bekennen, dass ihre Hilfe allein die gemeinsamen Ziele nicht erreichen kann:
„For over a decade, the G-8 has engaged with African partners to address the challenges and opportunities afforded by Africa’s quest for inclusive and sustainable development. ( ... ) International assistance alone, however, cannot fulfill our shared objectives.“10
Mit diesem Bekenntnis war der Weg geebnet zu einer großen Koalition mit der Wirtschaft, insbesondere mit den international tätigen Konzernen. Für die Konzerne war klar, dass ihr Engagement anderen Richtlinien folgen sollte als das der Regierungen. Sie wollten kein wirtschaftlich ineffektives Programm, wie es vielen Regierungsprogrammen nachgesagt wurde, sondern die Basis legen für echte Geschäfte, bei denen es vor allem um Hybridsaatgut geht, wie ein Papier feststellt, das im Vorfeld der New Alliance in der Forschungsabteilung des Konzerns Syngenta geschrieben wurde:
„Public programs in agricultural R&D have been successful in certain important areas. However, they are frequently ineffective when it comes to actually delivering products such as improved seed varieties that are tailored to the farmer’s actual needs, and thus to facilitating repeat purchase and effective use. Public sector incentives can be helpful in the introductory phase of new hybrid seeds, but these should definitely not be made available free of charge.“11
Auch die Analyse des Beratungsunternehmens McKinsey bezweifelt, dass Regierungen im Kampf gegen den Hunger erfolgreich sein können. Damit mehren sich die Stimmen, die das aktive Einbeziehen der Wirtschaft in die Entwicklungspolitik fordern:
„Governments cannot succeed alone. The evidence suggests that agricultural-development programs also require the active engagement of private agents such as farmers or farmers’ organizations, input suppliers, warehouse operators, buyers, and traders, including international trading companies.”12
Es geht darum erfolgreiche Partnerschaften zwischen Regierungen und der Privatwirtschaft zu begründen, es geht um Public-Private-Partnerships.
5. PUBLIC-PRIVATE PARTNERSHIPS
Um einen erfolgreichen Kampf gegen Hunger und Armut führen zu können, empfehlen auch andere Beratungsunternehmer den Zusammenschluss zwischen Regierungen, Wirtschaft und Großspendern.13 Schließlich setzt sich diese Argumentation auch auf dem politischen Parkett durch. Im Juni 2010 betont der G20 Gipfel in Toronto die Dringlichkeit, mit der Forschung und Entwicklung vorangetrieben werden müsse, um die Produktivitätslücken Afrikas zu schließen. Der Gipfel legt klar, dass der private Sektor dabei eine entscheidende Rolle spielen muss, wenn es um innovative
Lösungen und konkrete Ergebnisse vor Ort geht.
„The June 2010 “G-20” Summit in Toronto, Canada, stressed that “there is still an urgency to accelerate research and development to close agricultural productivity gaps”. The meeting went on to declare that “the private sector will be critical in the development and deployment of innovative solutions that provide concrete results on the ground”.14
Bekräftigt wird der Nutzen strategischer Bündnisse zwischen Regierungen und Unternehmen auch von weiteren Studien. Beispielsweise plädiert der „German Marshall Fund in the United States“ kurz vor der Konstituierung der New Alliance für „transformative Partnerschaften“ mit dem Ziel mehr Ernährungssicherheit in Afrika zu schaffen.15 Auch der internationale Beratungskonzern McKinsey argumentiert für eine intensive Verbindung zwischen lokalen Regierungen und dem Privatsektor und
kritisiert Formen bisheriger Entwicklungszusammenarbeit als unzureichend:
„Development programs often overlook or disdain agri-dealers and other middlemen, yet they perform essential coordination work—for instance, linking small farmers to markets or providing inputs appropriate for local soil conditions. Governments and donors rarely have the local knowledge or capacity for these jobs. Also, international trading companies can not only contribute technologies and management skills but are also major buyers. Private investment in infrastructure, such as mines and ports, may play a role in agricultural development, too.“16
Die Syngenta Foundation bietet sich hierfür schon 2010, zwei Jahre vor der Gründung der New Alliance, als Mittler und Förderer an.
„Critical to the delivery of each of these endeavors is stimulating and facilitating the creation of successful public-private partnerships. The (Syngenta) Foundation has the methods and connections to engage in new partnerships and projects, and can influence others through its system-level presence.“17
In großem Stil angelegt können die neuen Bündnisse neue poltisch-ökonomische Machtzentren ausbilden. Oxfam Deutschland spricht von „mega public-private partnerships“, die im Zuge der New Alliance geknüpft werden.18 Ein Machtzentrum dieser Art begründete der agrarchemische Konzern Syngenta mit den Entwicklungshilfeministerien der USA und Großbritanniens, wie Recherchen des
Guardian belegen.19
Was in den Jahren vor der Gründung der New Alliance strategisch angelegt wurde, erhält im Jahr 2012 seine Form in der „New Alliance for Food Security and Nutrition“.
6. KONSTITUIERUNG: NEW ALLIANCE FOR FOOD SECURITY AND NUTRITION
Im Mai 2012 verabschieden die G8-Staaten unter der Präsidentschaft von Barack Obama in Camp David, USA, die Gipfeldeklaration und begründen damit die „New Alliance for Food Security and Nutrition“. Das Bündnis umfasst die G8-Staaten und die Global Player der Agrar-, Ernährungs- und Chemieindustrie, darunter multinationale Konzerne wie Cargill, Dupont, Danone, Monsanto, Nestle, Swiss Re, Syngenta, Unilever, Yara, etc., sowie eine Auswahl von 10 afrikanischen Staaten, im Einzelnen Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Äthiopien, Ghana, Malawi, Mosambik, Nigeria,
Senegal und Tansania. Warum gerade diese zehn Staaten aus den 55 Staaten Afrikas als Bündnispartner ausgesucht wurden, erklärt sich aus ihrer Bereitschaft, ihre Märkte für Investoren zu öffnen und ihre Gesetze so zu verändern, dass der Weg für die multinationalen Konzerne, ihre Produkte und ihr Kapital frei wird. Außerdem beteiligen sich verschiedene auf dem afrikanischen Kontinent ansässige Unternehmen.
Gewiss sind es nicht nur die Interessen der Konzerne, die dieses Bündnis beförderten. Auch die chronisch knappen Kassen der Industriestaaten, die mit der Weltwirtschaftskrise 2008 noch leerer geworden waren, ließen den Regierungen das Bündnis zweckmäßig erscheinen.20 7,8 Milliarden Dollar sollten im Zuge der New Alliance Aktivitäten in die Entwicklung Afrikas fließen.21 Im Gründungstext heißt es über ihren Auftrag:
„Building on this progress, and working with our African and other international partners, today we commit to launch a New Alliance for Food Security and Nutrition to accelerate the flow of private capital to African agriculture, take to scale new technologies and other innovations that can increase sustainable agricultural productivity, and reduce the risk borne by vulnerable economies and communities. This New Alliance will lift 50 million people out of poverty over the next decade, and be guided by a collective commitment to invest in credible, comprehensive and country-owned plans, develop new tools to mobilize private capital, spur and scale innovation, and manage risk; and engage and leverage the capacity of private sector partners from women and smallholder farmers, entrepreneurs to domestic and international companies.“22
Begleitend zu dieser Deklaration reichten die beteiligten Unternehmen Absichtserklärungen („letter of intent“) ein, die allerdings der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Öffentlich hingegen sind die Investitionen und Ziele, die zwischen den Partnern in Rahmenkooperationsvereinbarungen („cooperation frameworks“) festgehalten werden. Sie legen ebenfalls fest, welche Voraussetzungen („enabling actions") die Staaten vor Ort schaffen müssen, um die Investitionen in die Tat umzusetzen. Es geht um „major political changes“, um wesentliche Veränderungen der nationalen politischen Rahmenbedingungen.
„These African countries have committed to major policy changes that open doors to more private sector trade and investment, such as strengthening property rights, supporting seed investments and opening trade opportunities.“23
Besondere Bedeutung hat ein günstiges Geschäftsklima, Sicherheit der Investitionen, Steuerreformen, Regeln die die Produktion, Verteilung und die Anwendug von “verbessertem” Saatgut, Kunstdünger und Pestiziden ermöglichen. Schließlich stehen auch die Rechte, die den Zugang zu Land und Wasser zum Schutze der Investoren regeln, ganz oben auf der Liste der geforderten Zusagen:
„Commitment areas include:
- Business enabling environment: Policies that facilitate sound investment, including
- infrastructure, tax reforms and access to finance
- Inputs: Policies that regulate the production, distribution and use of improved seed, fertilizer, pesticides and farming implements
- Land and resources rights: Policies that clarify and strengthen rights to productive resources such as land and water to protect communities and investors“24
Rechte der Zivilgesellschft, wie deren Mitwirkung an Entscheidungen, das Recht auf Nahrung, Wasser, Lebensraum und Unversehrtheit, also zentrale Menschenrechte, stehen nicht oder nur auf hinteren Plätzen in den „cooperation frameworks“.25
Auch die Bill and Melinda Gates Stiftung, ein zentraler Akteur des Philantrokapitalismus, also der privaten Wohltätigkeitsarbeit im Großen, unterstützt ihre Ziele. Anlässlich der Konstituierung betont Bill Gates in einer Presseerklärung der Stiftung:
„These are exactly the kind of smart, innovative partnerships with African governments we need to accelerate progress and I hope that the G8 will put in place clear, actionable targets and accountability mechanisms to ensure these efforts are meaningful.”26
Kontrolliert wird die Alliance durch ein Leadership Council. Es wird als “informal” bezeichnet. Doch es hat sehr wohl eine feste Zusammensetzung und Leitung. 30 Stakeholder tagen unter der Leitung eines Triumvirates bestehend aus der Amerikanischen Regierung, dem Weltwirtschaftsforum und der Afrikanischen Union als politische Vereinigung afrikanischer Staaten. Während die Interessen der Regierungen klar sind, stellt sich die Frage nach denen des Weltwirtschaftsforum. Das ist entgegen dem Anschein keine neutrale öffentlich legitimierte Instanz, sondern eine private Gründung, in der sich wiederum die Weltkonzerne engagieren, die sich offiziell auch als Stakeholder in der New Alliance beteiligen.27 Das Leadership Council besitzt zwar keine direkte Entscheidungsgewalt. Doch es kontrolliert, ob und wie die Zusagen der Partner eingehalten werden und nimmt damit eine zentrale Machtposition ein.
Die New Alliance lässt sich nicht mit den Maßstäben bisher bekannter politischer Institutionen messen. Sie ist weniger eine Institution als eine Klammer zwischen den Regierungen der G8, den afrikanischen Staaten und bereits bestehenden Organisationen wie dem Weltwirtschaftsforum, Initiativen wie Grow Africa Partnership, die aus ihm hervorging, sowie die Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA), die sich für den agroindustriellen Weg entschieden hat. Auch die Initiative „Scaling Up Nutrition (SUN)“, die mit Nahrungsergänzungsstoffen und marktorientierten
Lösungen die Ernährung verbessern will und schließlich “Doing Business in Agriculture” (DBA), ein Konzept der Weltbank, mit dem nach industriellen Indikatoren landwirtschaftlicher Fortschritt gemessen werden soll, gehören zu den Akteuren der New Alliance. Die Allianz führt die jeweiligen Absichten der Bündnispartner zu einem politischen Gesamtkonzept unter der Führung der Agrarindustrie zusammen.
„It can rather be understood as a mechanism to enforce and strengthen this ensemble of initiatives oriented towards and driven by agribusiness.“28
Die New Alliance zeugt damit von einer neuen Dimension unternehmerischer Entwicklungshilfe, sowohl finanziell als auch auf der Verhandlungsebene. Es geht vor allem um politischen Einfluss, wie der UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, betont:
„There's a struggle for land, for investment, for seed systems, and first and foremost there's a struggle for political influence."29
Der Einfluss der New Alliance lässt sich dabei nicht allein auf ihre Finanzkraft und die strategischen Bündnispartner zurückführen. Mitentscheidend ist ihre Rhetorik gegenüber der Öffentlichkeit.
_____
18 Oxfam Deutschland (2014)
19 Provost/Ford/Tran (2014)
20 Misereor, Brot für die Welt, Global Policy Forum, Corporate influence through the G8 New Alliancefor Food Security
and Nutrition in Africa, Aachen 2014
21 Oxfam Deutschland (2014)
G8 (2012)
23 New Alliance for Food Security and Nutrition (2014): FAQ, Which countries are involved? (letzter Zugriff am 02.06.2015)
24 New Alliance for Food Security and Nutrition (2014): Commitments (letzter Zugriff am 02.06.2015)
25 Misereor, Brot für die Welt, Global Policy Forum, Corporate influence through the G8 New Allia
Veröffentlicht von carlo (carlo) am 09 Sep 2015
Zuletzt geändert am: 09 Sep 2015 um 8:27 AM
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